Bunte Freude
„Es ist so schön, dass diese Kirche nun wieder mit Leben gefüllt ist“, freut sich Eva-Maria Lerch aus Wetzlar und ergänzt beschwingt: „Früher haben wir hier viele lebhafte Kindergottesdienste gefeiert. Die Bänke standen dann im Kreis, das war schon besonders“.
Die ehemalige katholische St. Elisabeth Kirche in der Kalsmuntstraße im Westend Wetzlars ist in die Hände der koptisch-orthodoxen Gemeinde übergegangen. Noch laufen die Umbauarbeiten im markanten Rundbau aus dem Jahr 1965, aber bei einem ökumenischen Abend öffnen die neuen Besitzer die Türen und Interessierte können sich überall umschauen.
Zur Besichtigung eingeladen haben die koptisch-orthodoxe Gemeinde Wetzlar, das St. Antonius Kloster Kröffelbach und die Katholische Erwachsenenbildung Wetzlar (KEB). Knapp einhundert Besucher strömen in die Kirche und sind sogleich beeindruckt von der liebenswert-freundlichen Atmosphäre und der Gastfreundschaft der neuen Besitzer.
Von außen lässt sich nur eine minimale Neuerung entdecken: über der Eingangstür prangt ein Kreuz, das in der Dunkelheit den Weg zur Kirche zeigt. Innen liegen im Mittelgang Teppiche, die zum imposanten Altar leiten – und der ist ein wunderbares Beispiel koptischer Ikonenkunst. Eine sorgfältig in koptischen Klöstern in Ägypten geschnitzte Holzkonstruktion ist geschmückt mit farbenprächtigen, handgemalten Bibeldarstellungen. Den Blick auf den eigentlichen Altar verhüllt zunächst ein tiefroter, kunstvoll bestickter Vorhang.
Nur während des Gottesdienstes wird dieser Vorhang geöffnet, berichtet Dr. Nader Attia, Diakon der Gemeinde. Freimütig und offen beantwortet er unzählige Fragen aus dem Publikum, wie etwa, dass sich die Gemeinde komplett aus Spenden der Mitglieder finanziert. Auch der Erwerb des Kirchengebäudes ist rein aus privaten Mitteln erfolgt. Die koptisch-orthodoxen Priester sind wie die römisch-katholischen allesamt männlich, jedoch dürfen sie heiraten.
Rund 30 Familien, die im Raum Wetzlar leben, gehören der Gemeinde an. Viele von ihnen haben Wurzeln in Ägypten, Syrien oder Eritrea. Eine Welle der Sympathie geht durch die Zuhörenden, als der Diakon von der Taufe seines ältesten Sohnes berichtet. Traditionell werden die Kinder noch als Säugling dreimal kurz komplett in Wasser eingetaucht. Er war seinerzeit so sehr in Sorge, dass sein Kind sich erkälten könne, dass er mit dem Thermometer am Taufbecken gestanden habe, um die richtige Temperatur zu kontrollieren, gesteht Nader Attia schmunzelnd.
Aus Wiesbaden angereist ist der Erzdiakon Mina Ghattas, der in seinem Grußwort die gemeinsamen Wurzeln von Kopten und Katholiken betont. Die römisch-katholische Kirche beruft sich auf den Apostel Petrus. Die koptisch-orthodoxen Christen berufen sich auf den Evangelisten Markus, der Ägypten im Jahre 61-68 nach Christus missionierte.
Die Kopten sind schon früh in Europa präsent gewesen. Mit dem heiligen Athanasius, der sich im vierten Jahrhundert in Trier im Exil aufhielt kamen Mönche nach Europa, insbesondere nach Irland und missionierten die irische Insel. Von dort kam dann erst im 6. Jahrhundert der irische Mönch Bonifatius in das germanische Reich und gilt hier als erste Bischof. In dieser Zeit war Irland durch die Kopten bereits evangelisiert.
Auch Dr. Frank van der Velden, Studienleiter für interreligiöse Bildung bei der KEB, führt vor Augen, „dass das Christentum in Deutschland eine koptische DNA hat“ und wir damit auch aktuellen Entwicklungen wie etwa der „Black lives matter-Bewegung“ in besonderer Art verbunden sind. Der Heilige Mauritius etwa, der Wiesbadener Stadtpatron, war ein nubischer Kopte, also eine „person of colour“.
Verbunden sind die Christen beider Konfessionen auch durch die Freude, dass das Kirchengebäude weiter in guten Händen ist. Noch vor ein paar Jahren war im Gespräch, das Bauwerk aus Natursteinen, Sichtbeton und zahlreichen Kupferelementen abzureißen. Bei Grundsteinlegung im Jahr 1965 war St. Elisabeth zunächst als „Militärkirche“ konzipiert. Mit Abzug der Bundeswehr in den 1990er Jahren verlor das Gebäude zunehmend an Bedeutung und wurde im Jahr 2018 schließlich profaniert. St. Elisabeth ist ein gutes Stück sichtbarer, lokaler Nachkriegsgeschichte und prägt das städtebauliche Umfeld bis heute. Eine Kirche, die sich harmonisch in die umgebende Wohnbebauung einfügt.
Ebenso harmonisch endet der ökumenische Abend in der koptisch-orthodoxen Gemeinde: mit einem gemeinsamen Vater-unser, in Deutsch, Arabisch und Koptisch.
Die Veranstaltung fand statt am 10.06.2022 und war eingebettet in die Ökumenische Woche in der Region Lahn-Dill-Wettenberg vom 3. bis 12. Juni unter dem Motto „Gemeinsam Christus begegnen“.