Wort zum Sonntag für den 15. Dezember 2019
Wir können die Weihnachtsgeschichte auch so hören: Wir stellen uns die Krippe vor und versuchen das Ganze sachlich einzuordnen: Kind geboren, in einem Stall untergekommen; eine Futterkrippe war da; Windeln hatten sie; und einen Josef hat auch nicht jede junge Mutter bei sich. Heute werden Kinder oft in viel schlechteren Verhältnissen geboren. – So können wir mit der Weihnachtsgeschichte umgehen: sachlich und zweckrational.
Nur - wenn wir in dieser Weltanschauung konsequent bleiben wollen, dann müssten wir auch weiter fragen: Weshalb sollten wir nicht praktischere Menschen züchten - bravere, fleißigere? Oder weshalb diese Verschwendung mit unseren teuren Friedhöfen, wenn eine Müllverbrennungsanlage die Entsorgung unserer Toten billiger leistet? Solche Fragen liegen in der Konsequenz unserer Sachlichkeit und Zweckorientierung, auf die wir oft so stolz sind.
Doch seltsam! – Warum wehren wir uns gegen solche Gedanken? Warum sind wir nicht bereit, etwa die Empfindung von Mitleid als „Gefühlsduselei“ abzutun? Weshalb meinen wir, dass das Gefühl von Ehrfurcht vor der Natur oder den Tränen eines Menschen etwas Kostbares ist?
Was ist das, was uns da bewegt und stärker fesselt als das Sachliche? Es ist das Heilige!
Das Wort klingt so groß und gleichzeitig schwer greifbar und irgendwie auch altmodisch. Gemeint ist damit, dass ein Baum mehr als ein Haufen Zellstoff ist, der Mensch mehr als ein besseres Säugetier, ein Toter mehr als ein Entsorgungsproblem. Ein gängigeres Wort für das Beschriebene ist der Begriff der Menschenwürde, die wir in unserem Grundgesetz bekennen: „Die Würde des Menschen ist unantastbar, sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“. Wer die Menschenwürde wirklich versteht, der hat etwas begriffen vom Heiligen. Sie lässt sich weder beobachten noch messen und verrechnen. Deshalb ist sie keine Sache. Das, was den Kern von Menschenwürde ausmacht, uns zu Menschlichkeit, Humanität, Selbst- und Nächstenliebe bewegt, das ist das Heilige. Gerade weil wir diese Würde in uns spüren, fasziniert uns dieses Kind in der Krippe. Wir ahnen, dass es mit diesem Kind etwas Besonderes auf sich hat, weil es die Würde in sich trägt, die von Gott kommt und uns allen geschenkt ist. Wir fühlen uns zur Krippe hingezogen, weil wir diese heilige und göttliche Würde spüren. Das Kostbarste, das wir in uns fühlen, wird so durch die Begegnung mit Jesus angeregt, bereichert und entfaltet. So verwundert es mich nicht, wenn wir zu Weihnachten froh und feierlich gestimmt sind.
Eine gesegnete und würdevolle Weihnacht wünscht Ihnen,
Pfr. Dr. Dr. Hermann-Josef Wagener